SSV-BS 52037
29.08.2009 –
T
HD-A, ED-0, OCD-frei
PRÜFUNGEN
IPO III, FH II
NIEMALS würde ich zu meinem alten Rüden einen Rüdenwelpen behalten! Das durfte ich doch Emil nicht antun! Der seine heißgeliebte Freundin Britta jahrelang ignoriert hatte, weil sie aus meinem F-Wurf den Figo genommen hatte… Tja und dann dieser H-Wurf: sechs Rüden, zwei Hündinnen. Bei mir sucht sich niemand einen Hund nach der Zeichnung aus, alle müssen warten, bis man etwas über das Verhalten sagen kann. Ich fühlte mich total sicher, denn gleich vier gute Bekannte sollten einen Rüden aus diesem Wurf bekommen, außerdem eine Familie, deren ersten Berner Rüden ich als Patient behandelt hatte. Und für den sechsten waren ja auch Interessenten da. Die Zuordnung der beiden Hündinnen war kein Problem, wie bereits im G-Wurf haben wir mit allen Welpen früh gefährtet und viele Dinge unternommen – Autofahren, Zoobesuch etc. Mitten drin der große dunkle Rüde, eher ruhig unauffällig und bei allen fünf Rüdeninteressenten auf Listenplatz zwei hinter ihrem jeweiligen Favoriten. Nur mein Favorit wäre er gewesen. Aber das ging ja nicht.
Und dann kam der Wesensveranlagungstest in der siebten Woche. Alle Welpenkäufer durften zugucken und alle waren in ihrer Wahl bestätigt worden. Und ausgerechnet er blieb übrig. Absolut selbständig marschierte er in den Pausen zwischen den einzelnen Testsequenzen einfach davon – genauso wie er es mit den Interessenten getan hatte, die seinetwegen gekommen waren und die er hatte stehen lassen. Ein selbstbewusster Eigenbrödler – was für ein Hund! Am Tag des Welpentestes stand sein Name fest: Hurtig, weil ich so schöne Erinnerungen an die Norwegen-Urlaube mit Hund habe. Händeringend habe ich versucht, ihn nach dem Welpentest an erfahrene, in meinen Augen geeignete Leute zu vermitteln, aber alle, die ihn gerne genommen und bekommen hätten, konnten zu diesem Zeitpunkt keinen Rüdenwelpen nehmen. Und so behielt ich den, der immer der Hund meiner Wahl gewesen wäre, dann doch selbst. Monate hat es gedauert, bis er sich nicht mehr selbst genügte. Ich habe ihn beschränkt und ignoriert und jeden Gang mit ihm alleine unternommen. Und endlich, nach fast sieben Monaten, kam er und buhlte um meine Aufmerksamkeit. Eigentlich wäre er als Einzelhund am besten untergebracht, nun muss er leider mit der Tatsache leben, dass es außer ihm zwei weitere Hunde (und natürlich Kater Conrad) gibt, die Beschäftigung brauchen.
Er ist eine echte Aufgabe und bereits jetzt, mit 13 Monaten, eine Hundepersönlichkeit. Er fährtet gut und gerne und ist begeistert dabei, wenn er Beutespiele machen darf. Unterordnung ist noch schwierig, da er soviel Schub aus der Hinterhand hat, dass unser Tempo nicht zusammen passt. Trotzdem sind die Anfänge gemacht und nach Emils Tod bin ich glücklich, mit dem jungen Wilden wieder einen Rüden im Haus zu haben.
Hurtig habe ich sehr früh richtig eingeschätzt, so dass zwei Dinge bereits feststanden, als er Welpe war: 1.) ganz gleich, wie schön er würde und wie gut evtl. seine Röntgenauswertung sein sollte, würde ich ihn niemals kören lassen 2.) sollten seine Gelenke einwandfrei sein, würde ich versuchen, ihn auch im Schutzdienst auszubilden.
Inzwischen ist der Hurtig drei Jahre und fast vier Monate alt. Am 15.12.2012 haben wir als Gäste im SV an der Prüfung teilgenommen und eine sehr schöne Begleithundprüfung abgelegt. Unser Ausbilder Werner, der den Hurtig vor genau drei Jahren kennenlernte, hatte mich völlig zu Recht davon abgehalten, diese Prüfung früher in Angriff zu nehmen. Man stelle sich das vor: seit 1982 betreibe ich Hundesport und habe insgesamt acht Berner ausgebildet und mit sechs von ihnen auch viel schwierigere Prüfungen abgelegt. Meine beiden ersten Rüden waren jeweils genau 12 Monate alt, als sie zum ersten Mal die Begleithundprüfung erfolgreich ablegten, alle anderen waren im Alter von 18 bis 24 Monaten geprüft – nur nicht Hurtig…
Und genau das hat mich an dem Kerl von der siebten Lebenswoche an so fasziniert: er ist eben einfach anders! Hurtig war sich immer selbst genug, er gefiel sich, das genügte ihm. Ich musste mir ganz viel einfallen lassen und furchtbar konsequent sein, bis ich endlich den richtigen Weg für ihn gefunden hatte. Bei keinem anderen Hund habe ich praktisch sämtliche Ressourcen verwaltet – bei ihm schon… Wer uns heute sieht, glaubt bestimmt nicht, dass es Monate gedauert hat, bis er das erste Mal auf einem Spaziergang zu mir kam und meine Aufmerksamkeit erregen wollte; aber genau so war es, und erst von diesem Moment an konnte ich anfangen sinnvoll mit ihm zu arbeiten.
Hurtig ist heute ein Hund mit enormer Ausstrahlung. Wie viele selbstsichere Hunde hat er kaum Probleme mit anderen Rüden. Entsprechend freundlich und sicher geht er mit Welpen und kleineren Hunden um und ist, obwohl wir kaum Kinderbesuch haben, im Umgang mit kleinen Kindern erstaunlich sanft (wohingegen ich bis heute regelmäßig das Opfer seiner schmerzhaften Grobmotoriker-Aktionen werde). Jugendliche und erwachsene Menschen findet er nur toll, fordert (und bekommt im Regelfall) unmissverständlich seine Streicheleinheiten und hat eine gewaltige Frustrationstoleranz. Er ist enorm lebhaft und bewegungsfreudig, dabei aber völlig ohne Hektik. Er ist wirklich eine Hundepersönlichkeit und ich freue mich jeden Tag erneut über meine Entscheidung ihn damals trotz aller Bedenken behalten zu haben.
Ein Glücksfall war, dass ich auf der Aubildungswoche in Meppen zufällig Werner getroffen habe. Der mochte den Dickschädel auf den ersten Blick und erzählt heute noch, wie der damals vier Monate alte Wuschelbär im Schnee vor dem Vereinsheim angebunden war und seelenruhig beobachtete, was um ihn herum geschah. Ich hatte die Sparte Schutzhundsport im Grunde mit Emil beendet, der zwar noch die Schutzhundprüfung 1 erfolgreich abgelegt hatte, aber für diesen Bereich einfach ungeeignet war. Gleiches galt für seine Tochter Dornröschen. Beide waren bzw. sind ganz hervorragenden Fährten- und Rettungshunde, aber Beutetrieb oder gar Aggressionsverhalten fehlten beiden weitgehend. Hurtigs Mutter Göre ist in dieser (wie in manch anderer Hinsicht auch) ihrer Ururgroßmutter Paulinchen ähnlich: Beutetrieb ja, Aggressivität im Beutespiel nein! Hurtig aber hatte sehr gute Voraussetzungen: ein selbstsicherer Hund mit (für die Rasse) viel Beutetrieb und Aktivität. So kam es, dass ich zunächst zweimal pro Woche zum DVG-Nachbarverein fuhr, um mit Werner und Hurtig Beutearbeit zu beginnen. Hurtigs Frustrationstoleranz stellte uns Menschen auf harte Geduldsproben, es dauerte viele Monate bis trotz seiner großen Begeisterung für das Beißen in die Beute auch das Bellen provozierbar war. Beeindruckend war dafür, wie ruhig, sicher und ausdauernd Hurtig von Anfang an das Beißkissen hielt und trug. Nachdem der Hund größer, kräftiger und energischer geworden war, entschloss ich mich, auch in der Unterordnung mit Werner zu arbeiten, der einfach für diesen Rüden eine ganz spezielle Antenne hat. Seitdem fahren wir (meist verstärkt durch Hurtigs Schwester Hexe und Wolfgang) zwei bis dreimal wöchentlich nach meiner Nachmittagssprechstunde nach Duisburg, um oft bis Mitternacht dort zu trainieren. Viele halten mich für eine gut Ausbilderin, die sich viel Zeit lässt und Prüflinge erst dann ins Rennen schickt, wenn wirklich alles sitzt… Aber gegen Werner bin ich sozusagen ein Waisenkind. Daher hatten nun auch vier Wurfgeschwister – Hotzenplotz (der kleine Streber…), Halunke (der seine Conni wie Hurtig vor manches Ausbildungsproblem stellte), Haakon (der Fritjoff zum aktiven Hundesportler machte) und Hexe (die den armen Wolfgang manche Nuss zu knacken gibt) vor dem Bruder die BH in der Tasche.
Am Prüfungstag war das alles vergessen. Der Dicke war trotz schwieriger „Rahmenbedingungen“ (wie so oft war in den beiden Wochen vor der Prüfung bei mir alles zusammengekommen, Papa im Krankenhaus, Praxis auf Hochtouren, viel zu wenig Zeit für alle Hunde) motiviert und konzentriert und zeigte eine tolle Unterordnung – JA, es war richtig, ihn erst jetzt zu zeigen.
Parallel habe ich natürlich fleißig mit ihm gefährtet (und dank Uli Böhmes Hilfe seinen Irrsinn bereits im Welpenalter zügeln können) und glaube, dass er in der Fährte das Zeug zu einem richtig guten Nachfolger seiner Großmutter, seines Urgroßvaters und seiner Ururgroßmutter hat.
Um ihn auch mal auf einer IPO-Prüfung zu zeigen, müssen wir nun einen Weg finden, aus dem begeisteren Apportierer (er verschleppt einfach alles, was er irgendwie ins Maul bekommt in hellen Sprüngen ans andere Ende der Koppel) einen zuverlässigen Apportierer zu machen, Motto „der Weg ist das Ziel“.
Hurtig wird wie bereits erwähnt niemals in die Zucht kommen. Obwohl ich ihn wundervoll finde und ihn heute fast jeder Mensch einfach toll findet, wünsche ich niemandem diesen oft schwierigen Weg zu einem harmonischen Mensch-Hund-Gespann, der sich nicht bewusst dafür entscheidet und in der Lage ist, ihn konsequent zu beschreiten. Die meisten Anfänger wären hier gescheitert oder zumindest in ihren Erwartungen an den „typischen Berner“ auf eine harte Geduldsprobe gestellt worden.
Ich kann für dies Erfahrung gar nicht genug dankbar sein: als Hundeführerin ist „Hurz“ einfach ein Geschenk, als Züchterin hat er bestätigt, was ich seit meinem B-Wurf bezüglich der Abgabe meiner Welpen denke und praktiziere!
Und damit ich wirklich nie in Versuchung kommen kann, hat der liebe Gott (oder die Natur) diesen Rüden mit einem leichten Vorbiss bedacht, der sich im Alter von ca. 8 Monaten aus einer zunächst knappen Schere entwickelte…
Hurtigs Wurfgeschwister sind alle geröntgt und offiziell mit HD A 1 und ED normal ausgewertet.
Hurtig hat im Dezember 2015 mit 100/80/94 „a“ im SV die IPO 3 Prüfung bestanden.
Nun werde ich ihn auf Fährtenhundprüfungen vorbereiten. Diese 2400 Schritt lange Fährte im beschneiten Maisschlag hat uns beiden gut gefallen.
2019:
Hurtig hat sich als Kreismeister nochmals für die Landesmeisterschaft in FH qualifiziert. Mal sehen, ob er mit dann 10 Jahren noch genug Kondition haben wird. Spaß am Fährten hat er jedenfalls noch immer.